Manchmal ist es gar nicht so leicht, einen verkehrten Apfelkuchen zu essen. Das scheitert von Zeit zu Zeit bereits an der Beschaffung der Hauptbestandteile – Äpfel! Da gibt es auf dem nahegelegenen Markt die Situation, dass man frohgemut drei Äpfel aus der Auslage in die Hand nimmt und sich zur Marktstandfrau begibt, die gerade einen etwas unschlüssigen Herrn im gleichen Alter bedient, der nicht nur unentschieden, sondern auch umständlich ist und die volle Aufmerksamkeit der Frau auf der anderen Seite aufsaugt. Er wendet sich also von seinen zur Seite gelegten voraussichtlichen Einkäufen kurz ab, um noch nach irgendeinem anderem Obst zu kramen, sich hinzubegeben und dabei die Verkäuferin unverändert zu fixieren und eine sprachliche Verbindung zu ihr aufrechtzuerhalten. Meine Orangenhälfte, mit den drei Äpfeln in der Hand, ist nun der festen Ansicht, dass sie in der Zwischenzeit das kleine Marktgeschäft erledigen kann, während der unausgereifte reife Herr seinerseits die Auslagen inspiziert. Doch die Marktverkäuferin ist nicht in Verkäuferinnenlaune und winkt ab, sie schenkt dem Herrn das was er möchte und gurrt etwas in seine Richtung. Etwas später kommt ein zweiter Mensch hinter den Stand und signalisiert seine Bereitschaft für Verkaufsgespräche. Plötzlich – wie aus dem Nichts – hat sich eine weitere interessierte Kundin vorgedrängelt und knallt dem Verkäufer ihren Einkauf auf den Tresen. Bei soviel Aufwand für andere Kund*innen und Ignoranz für die Orangenhälftin muss der eigene Kaufantrieb einfach zurückstehen. Zwei Orangenhälften gehen daher weiter, weg vom Ort des Verhandlungsgeschehens, das eher an Gespräche über atomare Abrüstung im Nahen Osten erinnert.
Im Bioladen um die Ecke liegen dann jede Menge andere ebenso schöne Äpfel, aber es ist ein Supermarkt, rechtsdrehend, mit zwei Kassen und man hat natürlich die Schlange gewählt, in welcher ein frisch angelernter Kassenjunge seine ersten Erfahrungen in der großen, bunten Warenwelt machen darf. Mit sanfter Hand streicht er liebevoll über die soon-to-be Neuerwerbungen der anstehenden Kunden, nimmt sie zärtlich in die Hand und schiebt sie langsam über den Scanner, bis es nach einer kleinen Weile piept. Noch drei Kundenstationen vor den Orangenhälften, eine Kleinfamilie mit Baby und Kinderwagen, Zahlungsprobleme, die erneut in Dialogen ausarten, die zwischen Palästina und Israel nicht schwieriger sein können. Vielleicht wäre der Kassenjunge eine Verhandlungskoriphäe, würde man ihn für die UN gewinnen können. Am Ende steht dann die zu bezahlende Rechnung. Drei solcher Unterhaltungsblöcke später haben zwei Orangenhälften mit jeder Menge Nerven und mit Karte bezahlt. Der Kuchen kann kommen.
Bis es dann aber soweit ist, kommt noch etwas anderes dazwischen. Auf dem Heimweg werden die beiden Orangenhälften eines ihnen vertrauten Phänomens gewahr. Wie allgemein bekannt leben wir im Jahr 2 der sogenannten Mantelwesten (MaWe). Ergänzend dazu ist die Anzahl der hier lebenden Möpse (Mö) seit ungefähr fünf Jahren gleichermaßen hoch. Die Wahrscheinlichkeit, auf dem Rückweg vom Biosupermarkt auf Mö oder MaWe zu treffen, wird nun noch dadurch gesteigert, dass dieser Weg zwingend ein Stück lang über den örtlichen Weihnachtsmarkt führt. Dort siegt aktuell die Anzahl der Mö. Wir gehen weiter und dort, im sorglosen Park und in den Seitenstraßen liegen zweifelsohne die MaWe vorne. Sobald die Witterung etwas unfreundlich kühler wird, werden grundsätzlich sämtliche Hu(e)nd(inn)e/n) zur Regulierung der Körperwärme in Leibchen eingehüllt. Beliebt ist aktuell das Modell MaWe, das es nun auch mit integriertem Karabiner für Mö gibt (Nur der Bluthund „Bärli“ unseres Nachbarn trägt modebewussten Eigenstrick). Was sind diese Leibchen für Hunde anderes als MaWe für Mö? Also MöMaWe. Unglaublich, aber wahr. Bei der täglichen MöMaWe-Challenge erreicht unser plattgesichtiger Vierbeiner mit Körperumpuschelung doppelte Punktzahl, was eine Dame mittleren Alters nicht vermag, es sei denn sie trüge eine MaWe mit Mo-Aufdruck. Wann wird die Industrie aufrüsten? Wir wissen es nicht, gehen aber nun zum falschen Apfelkuchen nach Hause.
Bis der aber wirklich in den Ofen kann, kommt es noch zu einer kleinen gedankliche Zwischenstation vor dem Hutladen in der Straße der nutzlosen Geschäfte. Dort gibt es Hüte, Mützen, Kappen und was sich sonst noch auf dem Kopf tragen lässt. Mö mit Mü hat man bislang noch nicht gesehen, wäre aber auch eine Idee für die unbeschwerte Zukunft. Vor dem Ladenlokal lag auf einem Tischchen ein Hochglanzmagazin aus, sein Titel irgendetwas mit Heirat. Die beiden vom Glanz des Zeitschrifttitels vorübergehend geblendeten Orangenhälften befinden sich derzeit in einem etwas gegenteiligen Prozess und kamen sofort auf die Geschäftsidee, ein Antimagazin zu gründen. Die Titelüberlegungen reichen noch von „Scheidung – das Monatsmagazin für alle auf dem Absprung“ über „Divorce – Internationale Scheidungen, Monatsmagazin“ zu „Scheiden – the easy way“, letzteres wegen der aktuell grassierenden Herrenwitzeritis aber sofort verworfen. Leicht beschwingt gehen die Orangenhälften ungeschieden in den Apfelkuchennachmittag.
The Gentle People / Shopping World / https://youtu.be/uqtoFaSmanI
The White Stripes / Apple Blossom / https://youtu.be/cUPJD7sZ274
Prefab Spout / I’m 49 / https://youtu.be/cenwtYd7HFo
Rezept:
Äpfel schälen und in Ringe schneiden, entkernen. Kuchenteig (200g Mehl, 200 g flüssige Margarine, 150g Zucker, Backpulver) ansetzen. 100g Margarine mit 50g Zucker und Zimt (je nach Geschmack) in einem Topf erwärmen und auflösen. In eine runde Glasform Alufolie legen, auf die Alufolie die flüssige Mischung aus Margarine und Zucker gießen. Apfelringe darauf verteilen, Walnusshälften in die Zwischenräume legen. Kuchenteig darüber streichen- bei 180 Grad etwa 30 Minuten backen, aus dem Ofen nehmen, auf eine Kuchenplatte stürzen und vorsichtig die Alufolie entfernen (Trick: Mit Eiswürfel über die Alufolie streichen).

Eine Antwort
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