In Memoriam Rudi Carrell und Rainer Werner Fassbinder oder Teeniehäuser der Zukunft.

In der City-Toilette der Stadt ist nach Einwurf von 30 Eurocent alles vollautomatisch. Durch den Einwurf der Münzen öffnet sich der Sesamstein, man kann kaum noch von einer Tür sprechen. Es ist vielmehr so wie am Grab eines gewissen Herrn seinerzeit ein Stein beiseite gerollt wurde, still und sanft. Nachdem sich die elliptische Außenwand felsengleich…

In der City-Toilette der Stadt ist nach Einwurf von 30 Eurocent alles vollautomatisch. Durch den Einwurf der Münzen öffnet sich der Sesamstein, man kann kaum noch von einer Tür sprechen. Es ist vielmehr so wie am Grab eines gewissen Herrn seinerzeit ein Stein beiseite gerollt wurde, still und sanft. Nachdem sich die elliptische Außenwand felsengleich bewegt hat, wird der Einblick in das geräumige Badabteil freigegeben, wo es quasi nur an einer Dusche fehlt, um es als City-Bad bezeichnen zu können. Würde an den freien Stellen noch eine Liegestatt und eine kleine Küchenzeile eingebaut, wäre ich bereit, über eine Bezeichnung als Teeniehaus bzw. Teinihouse nachzudenken. Zellen wie diese sind ja die Zukunft des Wohnens wie früher Siedebords.

Nach Benutzung dieser wohnungsgleichen Einrichtung wird dann ein automatisch reinigender Wasserstrahl durch das Objekt auf Reisen geschickt, so dass der nächste „Bewohner“ die gewünscht saubere Situation wieder vorfindet. Eine Pritsche hätte mit einiger Sicherheit auch den Verlust der Jungfräulichkeit sehr viel angenehmer gestaltet, als es aus Erzählungen bekannt ist – die fragliche City-Einheit am Platz der Einheit war am Ende doch nicht so wie es ihr Ortsname versprach. Für 30 Eurocent bekommt man lediglich 20 Minuten in diesem Palast der Winde geschenkt, kann aber einmalig für weitere 30 Eurocent um 20 Minuten verlängern. Nach Adam-Ries macht das 90 Eurocent pro Stunde oder EUR 21,60 pro Tag oder EUR 648,00 pro Monat (mit 30 Tagen). Würde man hier also Möbel hinzutun, lohnt es sich schon unter gewissen Bedingungen, ein solches Wohnklo auf Dauer anzumieten. Mietspiegel der Stadt sind nicht auf dermaßen automatisches Wohnen ausgerichtet, so dass ein Markt dafür unter dem Mietpreisbremsenwahrnehmungslevel bleiben würde. Nur mal so als Anregung.

Weitere Anregungen wären Spiegel, um sich mal auch ordentlich für den Stadtspaziergang herzurichten. Vielleicht war der einfache Metallspiegel, der Sicherheitsgründen geschuldet war, auch Grund dafür, dass die spanische Besucherin (eine ältere Dame namens Soledad) sich so einsam fühlte wie ihr Name vermuten lässt. Nun ist sie nach weniger als 20 Minuten wieder aus dem Etablissement ausgespuckt worden und wurde von den freundlichen Außenstehenden an die saubere Hand genommen. Als sie dann am Abend noch gefragt wurde, an welche Einrichtungsgegenstände sie sich erinnerte, hörte es wie bei der Samstagabendfernsehshow „Am laufenden Band“ nach 15 auf. Mehr ging auch im Fernsehen nicht. Ob diese Gegenstände aus ihrer Erinnerung auch zutreffend waren, lässt sich nur schwer vom Schreibtisch aus überprüfen. Wie bei Rudi Carrell war aber die Rede von einem Fragezeichen, einem Farbfernsehgerät, einem „Korb mit so Sachen“ drin, einem Globus und dann wurden die Erinnerungen spärlicher.

Wäre sie in dieser Show im Jahr 1975 gewesen, so hätte sie vor Benutzung des laufenden Bandes natürlich noch eine Stand-Up-No-Comedy-Erfahrung machen müssen, um ins sagenumwobene Laufbandfinale zu gelangen. Auch ein Regisseur wie Rainer Werner Fassbinder tauchte nämlich in besagter Show auf und hielt die KandidatInnen dazu an, ein Stück aus einem imaginären Frankenstein-Text den professionellen Schauspielern nachzuspielen. Soledad hätte er allerdings kaum erfolgreich mit der Regieanweisung angeherrscht „Rede, Du bis kein Taxifahrer“, sie redete nämlich auch sehr gerne über ihre Erfahrung mit Automaten.

Fraglich ist, wie meine Oma seinerzeit auf diese Fernsehshow reagiert hat – ob sie genauso verstört war, wie Soledad nach dem Besuch der City-Lokalität. Es war stets Samstagabend und meine Oma hatte schon ein Bütterchen und vielleicht ein kleine Flasche Bier intus, wenn es zum laufenden Band kam. In der Nachschau scheint es etwas befremdlich, dass dort immer wieder ein Glas-Set, und ein stets identischer Regenschirm an den KandidatInnen vorbei gefahren wurde – und stets vergessen wurde! Selbst das Fragezeichen vergaßen manche GedächtnisakrobatInnen, obwohl meine Oma und ich ihnen das gerne zuriefen. Meistens verbarg sich hinter dem Globus eine Reise in eine europäische Stadt und hinter dem Fragezeichen ein Tag mit die Rudi Carrell. Man male sich dies freundlich aus! Heutzutage liegt dahinter lediglich das Display der Internet gestützten Toilette und die Kundin wird gefragt, ob sie zufrieden war. Fernsehshows waren noch nie so günstig wie heute.

The 1975 / The City / https://youtu.be/UuihJInaeN4?si=BgSPePcJAetw3U8F

Tears for Fears: / Memories Fade / https://youtu.be/9BRCGD75Owg?si=kqj75q9iiLE06fVw

Marius Müller-Westernhagen / Rudi Car(r)ell / https://youtu.be/XUNNX0vFpYc?si=lViOUacTKQdJYK2D