Machen wir uns nichts vor: Im Spannungsfeld zwischen Burkaschlitz, rechtskonservativen Parteien und Wahl des individuellen Personalpronomens fällt es uns schwer, die Seele baumeln zu lassen und uns einfach mit seichter Unterhaltung zu berieseln.
Wie gut, dass wir heutzutage das WWW haben. Dessen Archive eröffnen uns den Fokus auf eine Zeit, die lange vorbei ist und nun mit einem völlig anderen Mindset, nämlich dem von EndfünfzigerInnen, ganz neu wahrgenommen und bewertet wird.
Die Rede ist von unseren Rudi C., den der geschätze Kollege und Eigentlichautor schon im letzten Artikel erwähnte. Es lohnt sich durchaus, ein zweites Mal das Augenmerk darauf zu richten. Der Geschmacksverstaerker und meine Wenigkeit sind durch das Begutachten antiker Folgen des „Laufenden Bandes“ selbst in einen Sog geraten, der uns auch ohne den Netflix-Jingle zu Bingewatchern machte. Doch das Gehirn dachte mit.
Was fiel auf? Erstens: PC war in den Siebzigern maximal ein Personal Computer. Von ihrer Tätigkeit mit diesem neuen Medium sprechen bisweilen die in dieser neuen Branche tätigen Kandidaten nicht ohne Stolz. Ansonsten wurde Gästen mit Migrationshintergrund dieser direkt verzerrt gespiegelt. Die korrekte Aussprache des zugegebener Maßen sehr langen Nachnamens der persischen bzw. iranischen Gäste beispielsweise machte sogar dem überaus sprachbegabten Rudi C derart viel Probleme, dass er beschloss, an Gehirnschmalz zu sparen und stattdessen eine orientalisch anmutende Artikulation durch eine Anhäufung von Rachenlauten – die es im Übrigen auch im Holländischen gibt – von sich zu geben. Aber auch prominente Gäste wie Roberto Blanco wurden permanent daran erinnert, dass sie PoC sind.
Zweitens: Diversität gab es noch nicht. Nicht mal als Wort. Höchstens „Diverse“ als Hinweis auf einen Schallplattensampler, der in diesem Regalfach eingeordnet wurde. Bei der Darstellung eines Balletlehrers kuschelt der Kandidat mit Rudi und Heinz Eckner. Und ausgerechnet dieser Kandidat küsst die aus dem Zweikampf als Siegerin hervorgegangene Kandidatin zur Beglückwünschung auf den Mund. Vielleicht war die RC-Show ja auch beim spanischen Fußballverband gern gesehen?
Warum haben wir uns also diese Show angesehen? Es ist ja nicht so, dass wir Freude daran haben, wie Menschen nach heutigen Maßstäben gedemütigt werden und wie sämtliche Klischees der 70er abgearbeitet werden. Wahrscheinlich ist es eher die Vielseitigkeit der Show, die uns beeindruckt. KanditatInnen müssen ständig ihr schauspielerisches Talent beweisen, sie sind schlagfertig, teils witzig und keineswegs aufgeregt oder vom Lampenfieber gezeichnet. Und unser Rudi hält die Fäden in der Hand. Er schickt die Leute mal hierhin, mal dahin. Der große Choreograph („Bitte gehen Sie da rüber“) bestimmt über Raum und Zeit innerhalb seiner Show. Ähnlich wie bei einer griechischen Tragödie gibt es also die Einheit von Zeit, Raum und Handlung, was man über heutige (Casting-)Shows nicht sagen kann. Wir leben im Zeitalter der Serien, Spielfilme dauern mindestens 120 Minuten, eine Miniserie macht es nicht unter 10 Folgen, es gibt Sequels und Prequels und alles wird bis ins Unendliche gedehnt Am Ende hat man alles vergessen, was zuvor lief. Da ist ein großer Zampano mit dem „Mädchen für Alles“ (Heinz E.) und acht KandidatInnen wohltuend anders und überschaubar.
Apropos: Unüberschaubar wird aktuell das Auszählen der Frauen in Mantelwesten. Hier war schon intern von einer „Invasion der MWs“ die Rede. Überschaubar hingegen ist die Zahl der Möpse. Stattdessen akkumulieren sich winzige, fluffige, Plüschkleinhunde in der Größe eines Handfegers, deren graziler Bewegungsapparat („Tippeltippel“) ganz anders daherkommt als der schwerfällige Gang des Möpschens. Man möchte den Mantelwestenbesitzerinnen zurufen: „Bitte gehen Sie da rüber“ – dort ist ihr Mops.
Kraftwerk / Home Computer / https://youtu.be/XsXBrxxN6pg?si=UtzempwHzZRkCesd
Marius Müller-Westernhagen / Ich gehe meistens bei Rot (Kinderlied) / https://youtu.be/X9gPskje1fU?si=8R5MPz26yxIzooGC
Betty Page / How much is that doggie in the window? / https://youtu.be/Aqwq4AgMiik?si=kOZSXNe6nXimwGl1
geschmacksverstaerkerei 